Sexualität und körperlicher Kontakt sind wichtige und notwendige Bestandteile des menschlichen Lebens. Sexualität ist evolutionsbiologisch unvermeidbar für den Erhalt der menschlichen Spezies. Über die reine evolutionsbiologische Selbsterhaltungsfunktion hat die Sexualität aber auch eine bedeutende psychologische Rolle für die zwischenmenschliche Bindung und Partnerschaft. Ohne den sexuellen Kontakt zu unserem Partner könnten wir die Paarbeziehung nicht von einer guten Freundschaft, inniger Kameradschaft oder einem geschwisterlichen Zusammenhalt unterscheiden. In diesem Artikel soll auf die Bedeutung und die außerordentliche Rolle der Sexualität in partnerschaftlichen Beziehungen ausführlich eingegangen werden. Neben der Wichtigkeit der Sexualität für die Paarbeziehung soll auch die Relevanz körperlichen Kontaktes in der Kindheit für eine gesunde psychische Entwicklung und für eine stabile Bindung im Erwachsenenalter thematisiert werden. Dabei gehen wir sowohl auf einige berühmte psychologische Erkenntnisse als auch auf praktische Erfahrungen ein, die wir aus unserer Praxis kennen.
Körperliche Nähe und Bindungsstile
Schon in den 50er Jahren konnten Psychologen mit Hilfe von beeindruckenden Feldforschung zeigen, wie wichtig körperlicher Kontakt und physische Nähe für eine gesunde psychische Entwicklung ist. Bereits in der Kindheit brauchen wir körperlichen Kontakt. Neben der reinen Versorgung mit Nahrung und Flüssigkeit, hat sich auch die körperliche Nähe, – also Kuscheln, Umarmen, Zuneigung und Aufmerksamkeit – als ein fundamentales menschliches Grundbedürfnisse herausgestellt. In Bowlbys (1958) Bindungstheorie wird erklärt, dass Säuglinge das angebotene Bedürfnis haben, in bindungsrelevanten Situationen, wie z.B. bei potenzieller Gefahr oder in einer neuen fremden Umgebung, die Zuwendung, Nähe und Schutz einer vertrauten Person zu suchen. Das heißt, dass die Bindungsverhaltensweisen sich bereits direkt nach der Geburt entwickeln, um bei Bedarf die Nähe zur wichtigen Bindungsperson herstellen zu können. Die Säuglinge sichern sich mit diesem angeborenen Verhalten die Zuwendung einer Bezugsperson und entwickeln auf diese Wiese ein interaktives Bindungssystem. Dabei besteht die wichtigste Funktion der Bindungsperson darin, das Kind in bedrohlichen Situationen reale und emotionale Sicherheit zu geben. Damit nimmt die körperliche Nähe eine überlebenswichtige Funktion ein. Kinder, die in ihrer frühen Kindheit keine liebevolle physische Nähe und Sicherheit erfahren haben, haben ein höheres Risiko eine psychische Störung zu entwickeln, leiden häufiger unter tiefgreifenden Problemen in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen und entwickeln dysfunktionale Bildungsmuster, wie unsicher-vermeidendes Bindungsmuster oder unsicher-ambivalentes Bindungsmuster.
Der unsicher-vermeidende Bindungsstil zeichnet sich dadurch aus, dass das Kind kein Vertrauen zu der Bindungsperson entwickeln kann und statt Unterstützung stets eine Zurückweisung erwartet. Als Folge unterdrückt das Kind sein Nähe-Bedürfnis und unterlässt weitere Annäherungsversuche. Im Erwachsenenalter äußert sich dieser Bindungsstil in Unterdrückung negativer Gefühle und einer hohen Distanz zu relevanten Bindungsthemen. Partnerschaftliche Beziehungen werden häufig idealisiert und widersprüchliche Muster nicht erkannt. Häufig fällt es den Menschen schwer, sich auch sexuell zu öffnen und das notwendige Sicherheitsgefühl im Umgang mit Sexualität zu entwickeln. Vermeidung, Resignation oder Untergebenheit können häufig in Bezug auf Sexualität die Folge sein.
Bei einem unsicher-ambivalentem Bindungsstil steht die Fixierung auf die Bindungsperson im Vordergrund. Das Bindungssystem ist also permanent aktiviert und das explorative Verhalten dadurch stark eingeschränkt. Das Kind ist einerseits hin und her gerissen zwischen aggressivem und ärgerlichem Verhalten gegenüber der Bindungsperson, andererseits sucht es immer wieder die körperliche Nähe und den Kontakt zu der Mutter oder irgendeiner anderen Bindungsperson. Im Erwachsenenalter sind Menschen mit einem ausgeprägten unsicher-ambivalentem Bindungsstil sehr schwierig in Beziehungen, sie sind sehr bindungsverstrickt und scheinbar auch in ihren früheren Beziehungen gefangen, haben Schwierigkeiten zu verzeihen und die Beziehungen sind oft emotional negativ besetzt. Der Umgang mit negativen Gefühlen fällt den unsicher-ambivalent gebundenen Menschen schwer, sie können diese nicht integrieren.
Bowlbys Bindungstheorie verdeutlicht, wie fundamental die körperliche Nähe für unser gesamtes menschliches Leben ist. Können wir bereits in der Kindheit Vertrauen und Sicherheitsgefühl zu einer Bindungsperson aufbauen, sind wir offen für Neus und fühlen uns auch im beispielsweise sexuellen Kontakt sicherer, fühlen uns also grundsätzlich selbstsicher. In der Kindheit können wir bei Anwesenheit einer Bezugsperson souverän unsere Umwelt explorieren und im Erwachsenenalter sicher und autonom in zwischenmenschlichen Beziehungen sein. Auch die Entwicklung der Sexualität verläuft bei Menschen mit sicherem Bindungsmuster unproblematischer, da sie in der Regel ein autonomes und sicheres Selbstbewusstsein haben.
Körperliche Nähe und Sexualität
Sigmund Freud, einer der bekanntesten Psychologen, entdeckte um die Jahrhundertwende, wie bedeutsam die Sexualität im Leben eines Menschen ist. Er sah darin sogar die gesamte Antriebskraft im Leben eines Menschen. Problematisch wird es dann, wenn die Sexualität unterdrückt oder verdrängt wird. Daraus lassen sich – so Sigmund Freud – viele psychische Störungsbilder ableiten und erklären. Zwar wird heute nicht davon ausgegangen, dass eine auf irgendeine Weise gestörte Sexualität die Ursache aller psychischen Erkrankungen ist, jedoch wird auch in der modernen Psychologie dem Ausleben sexueller Bedürfnisse eine wichtige Rolle für die zwischenmenschliche Bindung zugeschrieben. Während die Sexualität früher rein funktionalisierende Rolle in der Beziehung zwischen einer Frau und einem Mann spielte und ausschließlich auf die Zeugung von Nachwuchs ausgerichtet war, rückte sie seit Sigmund Freund als Gegenstand menschlicher Selbstverwirklichung so in den Mittelpunkt wie noch nie zuvor. Ihr Stellenwert für die Beziehung und die partnerschaftliche Verbundenheit gewann immer mehr an Bedeutung. Die Befriedigung sexueller Lust wird als Höchstmaß oder Inbegriff einer erfüllten und glücklichen Beziehung angesehen. Ob diese Zielsetzung für eine Beziehung auf die Dauer förderlich und realistisch ist, sei erst mal dahingestellt. Fakt ist, dass es unser zutiefst menschliches Bedürfnis ist, Zuneigung und Nähe von uns nahe stehenden Menschen zu erfahren.
Die Sexualität ist für die Liebesbeziehung zwar von zentraler Bedeutung, denn sie macht den Unterschied zu den anderen zwischenmenschlichen Beziehungen, die wir pflegen, jedoch verursacht ihre allgegenwärtige Präsenz heutzutage auch viel Unsicherheit. In der Paartherapie sind sexuelle Probleme häufig ein zentrales Thema. Denn trotz Aufklärung und Liberalisierung werden Schwierigkeiten, die mit Sexualität in Zusammenhang stehen, häufig und schamhaft verschwiegen. Kein Wunder! Das sexuelle Lusterlebe wird in den Medien, in der Literatur ja sogar unter Fachleuten überbetont. Anleitungen und Tipps zum erfüllten Sexualleben werden nicht unterstützend eingesetzt sondern als Norm verstanden und diese ist hoch. Nur selten wird die Realität und Norm verglichen und die eigenen Ansprüche relativiert, viel häufiger folgt daraus eine unausgesprochene Unsicherheit und eine permanente Konzentration auf das Problem des eigenen Sexuallebens. Diese Überkonzentration setzt viele Paare unter Druck und führt dazu, dass jede sexuelle Begegnung einem Testlauf ähnelt. Damit stürzt sich das Paar unwiderruflich in den Kreislauf der sexuellen Probleme. Es folgen Frust, Resignation und Abgrenzung. Viele Paare geben auf, über die Probleme zu sprechen und stellen ihr Sexleben ein oder gehen fremd. Nicht selten wird auf dieser Basis die gesamte Beziehung in Frage gestellt. Krisen, Trennungen und Scheidungen sind die Folgen.
Sicher ist, dass die Sexualität eine Beziehung zu einer Paarbeziehung macht, ohne diese wäre das Verhältnis mit einer freundschaftlichen, kameradschaftlichen oder geschwisterlichen Beziehung zu vergleichen. Sexualität sorgt für eine einzigartige und charakteristische Verbindung, die sich von jeder anderen Form von menschlicher Beziehung abgrenzt. Eine ständige Konzentration auf die sexuelle Lust und die damit verbundenen Problemen scheint für eine gelöste Sexualität jedoch wenig förderlich zu sein. Eine tiefgreifende und gleichzeitig gelassene Betrachtung der Thematik erwies sich schon in vielen Fällen sehr hilfreich. Schon die Differenzierung zwischen sexueller Lust und sexueller Beziehung ermöglicht einen anderen Blick auf die Thematik. Was die meisten Partner anstreben und für ihre Beziehung verwirklichen wollen, ist in der Regel die sexuelle Partnerschaft und nicht das dauerhafte Erleben von sexueller Lust.
Quellenhinweis: Redaktion MVZ Köln für Psychotherapie GmbH Odendahl & Kollegen
Hinweis: Der oben genannte Artikel ersetzt nicht den Besuch beim Psychologen, Arzt oder Therapeuten und ist nicht zur Selbsttherapie/-behandlung geeignet.
Aktuallisiert: 16.08.2017