Eine zentrale Vorstellung in der Beziehung ist das Verschmelzen zweier Individuen zu einer Einheit.
Neben dieser sehr weit verbreiteten Vorstellung gibt es aber auch noch das andere Extrem: die Selbstverwirklichung, die höchste Form von Individualität, als Zweck der Beziehung.
Ebenso wie beim Verschmelzen liegt auch der Selbstverwirklichung das Verliebt-Sein. Das Märchen vom Aschenputtel liefert hier eine passende Analogie: erst durch die Liebe des Prinzen wird das dreckige Aschenputtel zur wunderschönen Prinzessin erhoben. Und erst durch die Liebe und Bewunderung des Partners bin ich mir selbst etwas wert, kann ich mich selbst als vollwertiger Mensch sehen und aufblühen. In dieser Sichtweise ermöglicht es mir der Partner, mich selbst in strahlendem Licht zu sehen, sodass ich über meine ansonsten vorhandenen Unzulänglichkeiten, Selbstzweifel und Selbstabwertungen hinwegsehen kann.
Bei dieser Art von Verliebtheit beziehe beziehe ich allerdings den Partner auf mich und nicht umgekehrt. Anstatt sich im Sinne der Verschmelzung hinzugeben, ist hier die Einverleibung des Partners in das eigene Ich das Motiv.
Diese Sicht auf die Beziehung ist gerade zu Beginn eine völlig normale Reaktion. Allerdings kann dies auch zu Problemen führen, zum Beispiel dann, wenn man realisiert, dass der Partner eben auch seine Grenzen und Selbstzweifel hat, oder wenn klar wird, dass der Andere dieselbe Aufwertung seines Selbst erwartet und die Gegenseite jeweils nicht dazu bereit ist, diese zu gewähren.
Dadurch kommt es zur Krise, denn der Partner wird von der Erweiterung meines Ichs zum absoluten Gegenteil, denn nun schränkt er mich und meine Bedürfnisse ein. Derjenige Partner, der dies zuerst realisiert und darum kämpft, wird von seinem Gegenpart oft als Angreifer empfunden, woraufhin sich eine ungünstige Dynamik entwickeln kann, die zu schweren Konflikten oder gar zur Trennung führen kann!
Um sich selbst verwirklichen zu können, ist es, so gegensätzlich es auch klingen mag, erst einmal notwendig, einen gewissen Grad an Autonomie zu gewinnen. Dies ist gerade dort gut möglich, wo die Grenzen meines Partners offensichtlich werden. Wenn mein Partner abends keine Zeit mehr hat, mir Essen zu kochen, kann ich es mir auch selbst zubereiten. Ist mein Partner abends zu müde, um sich anzuhören, wie mein Tag war, sollte ich mich vielleicht mit Freunden in meinem Umfeld darüber austauschen, anstatt ihm Vorwürfe zu machen.
Im Anschluss kann Hingabe ermöglicht werden, indem ich mich auf die Bewegung des Partners einlasse, anstatt um meiner Selbstverwirklichung willen aus Reflex dagegen anzugehen. Gehen Sie ruhig einmal auf die Initiativen Ihres Partners ein und lassen Sie sich von Ihrem Partner in dessen Welt hineinversetzen. Nicht selten passiert es dabei, dass man neue Seiten an seinem Partner kennenlernt und manchmal sogar Gefallen an Aktivitäten findet, von denen man es vorher nicht vermutet hätte!
Quellenhinweis: Redaktion MVZ Köln für Psychotherapie GmbH Odendahl & Kollegen
Hinweis: Der oben genannte Artikel ersetzt nicht den Besuch beim Psychologen, Arzt oder Therapeuten und ist nicht zur Selbsttherapie/-behandlung geeignet.
Aktuallisiert: 16.08.2017