Laut dem neo-romantischen Beziehungsideal wird die Liebe als Verschmelzung in einem Dauerzustand aufgefasst. Damit ist die Liebesvorstellung von „Einssein“ oder „Einswerden“ gemeint, die schon in vielen Märchen und Sagen zum Ausdruck gebracht wurde und mit der wir und unsere Kinder aufgewachsen sind. In der Liebeslyrik, im Fernsehen und in den Romanen wird diese Idealvorstellung von LIEBE immer wieder von Neuem populär gemacht. Da ist es nicht verwunderlich, dass der aufkommende Wunsch des Partners nach Abstand, Raum für sich oder nach etwas Distanz als nahezu gefährlich und für die Beziehung destruktiv erlebt wird. In der Paartherapie erleben die Therapeuten häufig dieses Phänomen von Bedrohung, sobald ein Partner etwas selbstständiger und unabhängiger wird – etwa wenn die Frau ihrem Berufswunsch in einer anderen Stadt nachgehen möchte, mal andeutet alleine bzw. mit ihren Freundinnen in den Urlaub fahren zu wollen oder wenn der Mann sich einfach ein Zimmer als Rückzugsort einrichtet. Solche Versuche der Partner, sich in der Beziehung eine Privatsphäre aufzubauen, werden häufig als bedrohlich oder gar als Aufkündigung der Ehe aufgefasst, sodass selbst die hartnäckigsten Verweigerer einer Paartherapie zustimmen.
Gerade in den Anfangsphasen der Partnerschaft – in der Verliebtheit – wird diese Verschmelzung von Grenzen zwischen Du und Ich als die höchste Erfüllung der Liebe empfunden. Das Idealisierte des Partners wird schnell aufgenommen und eher als Bereicherung und Erweiterung der persönlichen Grenzen erlebt. Es ist ein schönes und wertvolles Gefühl, wenn da jemand ist, der mich wirklich innig mag, attraktiv findet und mich auf diese Weise aufwertet. Die Vorstellung, ohne den geliebten Partner leben zu müssen, hat keine Gültigkeit. In dieser Phase der Verliebtheit ist es legitim und zutreffend von Verschmelzung zu sprechen. In dieser Phase ist nichts dagegen anzuwenden.
Problematisch wird diese Vorstellung von Liebe und Partnerschaft, wenn die Paare oder einer der Partner dieses Verschmelzungsideal für die gesamte Beziehungsdauer und das ganze Leben beansprucht. Der Wunsch nach einer so starken und andauernden Verbundenheit resultiert oft in einem besonders abhängigen und destruktiven Beziehungsmuster, das schon einigen Paaren zum Verhängnis wurde. Die persönliche Abgrenzung fällt zunehmend schwer, der eigene Selbstwert wird strak von dem Selbstwert des Partners abhängig, die gesamte Freizeit wird nur noch zu zweit verbracht, individuelle Freundschaften werden nicht gepflegt, unterschiedliche Interessen und Hobbys können nicht entwickelt werden. Die symbiotische und scheinbar harmonische Beziehung engt die Partner stark ein und verhindert in der Regel von beiden die individuelle Entwicklung. Irgendwann wird die Beziehung nicht mehr als erfüllend sondern als belastend und einengend erlebt. Nicht selten leidet darunter in solchen Beziehungen nicht nur die Identität sondern auch die Intimität und Sexualität. Häufig ist das dann der vorgeschobene Vorstellungsgrund für eine Paartherapie.
Quellenhinweis: Redaktion MVZ Köln für Psychotherapie GmbH Odendahl & Kollegen
Hinweis: Der oben genannte Artikel ersetzt nicht den Besuch beim Psychologen, Arzt oder Therapeuten und ist nicht zur Selbsttherapie/-behandlung geeignet.
Aktuallisiert: 16.08.2017